Martin Pollack: Festrede zur Verleihung des Paul Grüninger Preises 2023 an Paula Weremiuk

Martin Pollack in St. Gallen, 17. November 2023
Foto: Urs Bucher/ubupix.com

Martin Pollack, Schriftsteller, Bocksdorf und Wien, Mitglied des Stiftungsrates der Paul Grüninger Stiftung

Das Salz der Erde

Wir leben in einer Welt, die zunehmend aus den Fugen zu geraten scheint. In einer «unglaublich rohen und doch wunderbaren Welt», wie mir eine ukrainische Freundin vor ein paar Tagen geschrieben hat. Sie ist in L’viv zu Hause und weiß, wovon sie spricht. Auf den ersten Blick scheinen die negativen, oft beängstigenden Erscheinungen zu überwiegen. Der Angriffskrieg von Putins Russland gegen die Ukraine und der Krieg im Nahen Osten, der auch in unseren Ländern zu bedenklichen Verwerfungen führt, eine die ganze Welt erfassende Klimakrise, verheerende Umweltkatastrophen, die breite Landstriche unbewohnbar machen, die Schwächung und Aushöhlung demokratischer Systeme zugunsten totalitärer Tendenzen und diktatorischer Regime, die Grund- und Menschenrechte mit Füßen treten, bedrohlich anschwellende Flüchtlingsströme, denen auch in Europa vielerorts wachsender Fremdenhass und Ablehnung entgegenschlagen, die Armut und Verelendung immer breiterer Schichten …

Tatsächlich könnte der Eindruck entstehen, wir steuerten hilf- und haltlos wie Lemminge auf den Abgrund zu. Doch wir dürfen nicht resignieren und den Kopf hängen lassen, denn es gibt immer wieder auch lichte Momente und Anlass zur Hoffnung. Dazu zählen Personen, die sich aus eigenem Antrieb, nur ihrem Gewissen verpflichtet, für Menchen einsetzen, die auf der Suche nach Schutz vor Krieg und Verfolgung ihre Heimat verlassen müssen.

Dabei denken wir sofort an die unbeugsame Haltung des Schweizer Polizeihauptmannes Paul Grüninger, des Namensgebers des heute zu verleihenden Preises, der in der Zeit des Nationalsozialismus, offizielle Weisungen und Befehle missachtend, zahlreiche Juden vor den NS-Mördern gerettet hat, wofür er vom eigenen Staat hart bestraft, eingesperrt und entrechtet wurde. Ihm und seiner Familie, die den Menschenrechtspreis ermöglicht, gilt unser Dank.

Der Paul-Grüninger Preis 2023 wurde von der Jury der polnischenLehrerin Paula Weremiuk zugesprochen, die diese Auszeichnung für ihren selbstlosen und mutigen Einsatz für die humanitäre Flüchtlingshilfe an der polnisch-belarussischen Grenze bekommt, ganz im Sinne von Paul Grüninger.

Es ist ein Zeichen unserer Zeit, dass die Ereignisse an der Grenze angesichts der Kriegshandlungen in der Ukraine und jetzt im Nahen Osten, gekennzeichnet von unsäglicher Brutalität und Menschenverachtung, zunehmend in den blinden Winkel unserer Aufmerksamkeit geraten. Das erscheint verständlich. Doch es verbietet sich, Verstöße gegen die fundamentalsten Menschenrechte gegeneinander aufzurechnen und abzuwägen, welche Leiden schwerer wiegen und wert sind, öffentlich gemacht und angeprangert zu werden. Menschenrechte sind keine Ware, die gewogen und gewertet, vielleicht sogar abgewertet werden kann.

Also Paula Weremiuk. Dazu zunächst einige Hintergrundinformationen, um das Wirken der heutigen Preisträgerin, die wir an dieser Stelle ganz herzlich beglückwünschen wollen, besser einordnen zu können. Der belarussische Diktator Aleksandar Lukaschenka lockt seit Sommer 2021 Scharen ahnungsloser Flüchtlinge, die meisten aus Syrien, Afghanistan, Äthiopien, dem Sudan und anderen afrikanischen Ländern, mit dem Versprechen in sein Land, von hier aus sei es ein Leichtes, über die polnische Grenze und von dort weiter in Sehnsuchtsländer wie Deutschland, Frankreich, England oder Schweden zu gelangen. Dort haben viele Familienangehörige und Freunde, die ihnen beim Start in ein neues Leben helfen sollen. Eine niederträchtige, nicht selten tödliche Falle. In Wirklichkeit geraten die Flüchtlinge in eine Spirale der Gewalt, neuerlicher Verfolgung und Ausweglosigkeit, in der viele resignieren und aufgeben. Eine Schande für Europa.

Die Absichten des belarussischen Diktators sind klar. Zum einen lässt sich an den Flüchtlingen prächtig verdienen, anderseits sollen die unkontrollierten Flüchtlingsströme in Absprache mit Putin das freie Europa spalten und destabilisieren. Das radikal nationalistische und europaskeptische PiS-Regime in Polen (PiS steht ironischerweise ausgerechnet für Prawo i Sprawiedliwość, Recht und Gerechtigkeit,) unterstützt von der fundamentalistischen katholischen Kirche, leistet der zynischen Politik der beiden Diktatoren Vorschub, indem es seinerseits die Flüchtlingskrise skrupellos instrumentalisiert, um nach dem Vorbild von Orbáns Ungarn fremdenfeindliche Ressentiments in der Gesellschaft zu schüren und auf diese Weise den Weg in Richtung einer autoritären Herrschaft zu ebnen.

Mit der Niederlage der PiS bei den jüngsten Wahlen wurden diese Pläne durchkreuzt. Doch die bisherigen Regierenden klammern sich verzweifelt an die Macht. Zu dem Zeitpunkt, da ich diese Worte schreibe, ist der Machtkampf in Polen noch nicht endgültig entschieden, obwohl alle Zeichen darauf hindeuten, dass die reaktionären Kräfte ausgespielt haben. Es ist zu hoffen, dass die zu bildende neue Regierung auch in der Flüchtlingspolitik einen radikal neuen Kurs einschlägt und sich darauf besinnt, dass Polen ein unverzichtbares Mitglied des freien, demokratischen Europas ist. Das wünschen wir aus ganzem Herzen auch Paula Weremiuk, die sich ungeachtet aller offiziellen Hindernisse und Schikanen für Menschen aus fremden Ländern einsetzt, auch wenn sie sich damit selber in Gefahr bringt.

Paulina oder auch Paula Weremiuk, sie selber verwendet beide Versionen des Vornamens, was bei uns anfangs für einige Verwirrung sorgte, stammt aus der kleinen zweisprachigen Gemeinde Narewka am Rande des Urwalds von Białowieża, der von der polnisch-belarussischen Grenze durchschnitten wird. Dort unterrichtet sie seit Jahren in der Grundschule Englisch und setzt sich für Belange der Schülerinnen und Schüler ein, organisiert außerschulische Aktivitäten und Events und einen regen Austausch mit Schülern und Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der im Holocaust augelöschten jüdischen Gemeinde ihres Heimatortes und der Umgebung, der Erinnerung an die jüdischen Nachbarn und die Erhaltung der Kultur und Geschichte der Juden. Das ist angesichts des in Polen grassierenden und oft von offiziellen Stellen geschürten Antisemitismus keine Selbstverständlichkeit und verlangt einigen Mut. Paula organisiert an der Schule Erziehungsprogramme, Film-Workshops, in denen kurze Streifen zur Geschichte der Juden in der Region erarbeitet werden, Ausflüge und die Zusammenarbeit mit einer Schule in Israel, deren Schüler alle zwei Jahre nach Narewka kommen, um hier mit Gleichaltrigen zu diskutieren und zu feiern, «damit die schmerzhafte Vergangenheit nicht für immer einen Schatten auf unsere polnisch-jüdischen Beziehungen werfen möge», wie Paula das ausdrückt.

Mit Beginn der Flüchtlingskrise in der Region von Białowieża begann Paula an ihrer Schule Arbeitskreise zum Thema Toleranz und Völkerverständigung einzurichten und mit ihren Schülern darüber zu sprechen, was an der Grenze geschieht. Seit Herbst 2021 engagiert sie sich aktiv für Flüchtlinge, die völlig unvorbereitet, ungenügend bekleidet, ohne ausreichende Nahrung und Wasser, ohne Kenntnis der unwirtlichen Verhältnisse von belarussischen Beamten über die Grenze getrieben werden, um orientierungslos durch den unwegsamen, von Sümpfen, Flüssen und Bächen durchzogenen Urwald zu irren. Männer, Frauen, Kinder, alte Menschen, hilflos den feindlichen Elementen ausgesetzt, Regen, Eis und Schnee. Paula versuchte nach Kräften diesen verzweifelten Menschen zu helfen, sie brachte ihnen im Schutz der Nacht, um den wachsamen Blicken der Grenzer zu entgehen, warmes Essen, Kleidung, Medikamente und Verbandszeug, versorgte die schlimmsten Wunden und klärte sie über ihre Rechte und Möglichkeiten auf, soweit das unter diesen Bedingungen möglich ist.

Die polnischen Grenzbeamten, unterstützt von Polizei und Militär, haben Weisung, entgegen internationalen Vereinbarungen keine Asylansuchen anzunehmen, sondern die Menschen, oft schwer verletzt, mit Erfrierungen, halb verhungert und verdurstet, in den Urwald zurückzutreiben, zurück über die belarussische Grenze. Ungeachtet aller Bitten um Asyl und Hilfe. Die belarussischen Grenzbeamten und Soldaten, noch brutaler als ihre polnischen Kollegen, jagen die Flüchtlinge erbarmungslos wieder zurück. Damit beginnt ein grausames Spiel, die Menschen werden hin und hergeschoben, oft zigmal, hüben und drüben malträtiert und gequält, erniedrigt, ihrer spärlichen Habe beraubt und vergewaltigt.

Nach offiziellen Angaben sind bisher auf beiden Seiten der Grenze über 50 Menschen im Urwald ums Leben gekommen, die Dunkelziffer ist mit Sicherheit viel höher, da zahlreiche Opfer nie gefunden werden, spurlos in den Sümpfen verschwinden, in den Flüssen, im undurchdringlichen Dickicht. Hilfe von Seiten der Behörden haben die Migranten keine zu erwarten, im Gegenteil. Auf diese Weise sind viele oft wochenlang im Urwald unterwegs, geschwächt durch die Strapazen und die Bedingungen einer menscheinfeindlichen Umwelt.

Das Verb pushbackować, abgeleitet vom englischen pushback, zurückschieben, hat längst Eingang in die polnische Sprache gefunden. So rasch passt sich die Sprache den Bedingungen der Gesetzlosigkeit und Unmenschlichkeit an. Umso wichtiger ist das Engagement der Freiwilligen an der Grenze, die seit über zwei Jahren im Namen der Nächstenliebe und Solidarität unsägliche Strapazen und Risiken auf sich nehmen. Paula ist nicht allein, es gibt eine ganze Reihe Gleichgesinnter, manche in Gruppen tätig, andere auf eigene Faust handelnd. Spontane Kämpferinnen und Kämpfer für die Menschenlichkeit. Dadurch entsteht eine enge Gemeinschaft von engagierten Helferinnen und Helfern, viele von ihnen sehr jung: eine wichtige Voraussetzung und Stütze für die Zivilgesellschaft. Die Flüchtlingshilfe, die gleichzeitig den aktiven Widerstand gegen die Willkür der Staatsmacht signalisiert, ist, wie so oft in den Ländern, von denen hier die Rede ist, überwiegend weiblich.

Dafür ein Beispiel: Ich war leider nicht in der Lage, nach Polen zu reisen, um nach geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten für den Paul-Grüninger-Preis Ausschau zu halten. Hilfreich war die Lektüre unabhängiger Zeitungen, voran der «Gazeta Wyborcza», die umfassend und erschöpfend über die untragbare Situation der Flüchtlinge an der Grenze berichtet. Mindestens ebenso wichtig waren jedoch die wertvollen Hinweise und Informationen von Freunden und Bekannten, die schließlich den Namen Paulas ins Spiel brachten. Ich möchte hier Agata Ganiebna erwähnen, Kasia Leszczyńska, die heute unter uns weilt, so wie auch Urszula Glensk, Katarzyna Wappa, um nur ein paar Namen zu nennen. Ohne diese mutigen, engagierten Frauen, die sich nicht einschüchtern lassen und immer wieder die Stimme erheben, wären unsere Gesellschaften um vieles ärmer. Es ist keine Übertreibung, zu behaupten, sie seien das Salz der Erde, von dem in der Bibel die Rede ist.

Natürlich wissen wir, dass Menschen wie Paula gegenüber der geballten Staatsmacht und der flüchtlingsfeindlichen Haltung eines Teils der Gesellschaft auf den ersten Blick nicht viel ausrichten können. Sie werden von den Behörden schikaniert und behindert, von Polizisten, Soldaten und Grenzern nach Möglichkeit von der Grenze ferngehalten, sind zahlreichen Kontrollen und Demütigungen ausgesetzt – und doch ist ihre Hilfe sehr wichtig, ein Beweis, dass es in einem System brutaler Gewalt und Menschenverachtung noch Empathie für den Nächsten gibt und die Bereitschaft, sich vorbehaltlos für ihn einzusetzen. Die Hilfe mag wie ein Tropfen auf einen heißen Stein erscheinen, doch sie flößt den zwischen den Grenzen gestrandeten Menschen Mut ein und läßt sie vielleicht nicht endgültig verzweifeln.

Warum setzen sich Menschen wie Paula solchen Mühen und Gefahren aus? Wie kommt eine junge Frau aus gesicherten Verhältnissen dazu, von einem Tag auf den anderen die Wärme und den Komfort ihres bisherigen Lebens aufs Spiel zu setzen und sich in ein Abenteuer zu stürzen, in dem es in Wahrheit um einen Grundbegriff der menschlichen Existenz geht, um die Verantwortung für den Nächsten, auch wenn dieser fremd erscheinen mag und von vielen, beeinflusst durch eine rabiat fremdenfeindliche Propaganda, abgelehnt, ja förmlich verteufelt wird?

Paula erzählt, wie es für sie begann. Sie war damals schon Lehrerin in Narewka, das war im Herbst 2021. «Ich machte mir Vorwürfe. dass ich normal esse, reise und lebe, dass ich in einem warmen Bett aufwache, während Menschen im Wald frieren. Ich empfand einen entsetzlichen Stress, ich wusste nicht, was ich machen sollte, ich hatte damals keine Ahnung, dass es irgendwelche Hilfsaktionen gab. Ich wußte nur von einem grünen Licht (das hilfswillige Personen ins Fenster stellten) und beschloss, auch ein solches Licht anzuzünden, möglichst rasch, ohne viel zu wissen, nur von meinem Herzen geleitet. … Eines Nachts wachte ich auf und verspürte eine lähmende Angst. Ich lag im Bett und dachte darüber nach, was es mit dieser Angst auf sich hatte, ich analysierte, wovor ich überhaupt Angst hatte. Ich hatte keine Angst vor den Flüchtlingen, dass sie in mein Haus kämen, ich hatte vielmehr Angst vor meiner eigenen Reaktion und davor, dass ich völlig unvorbereitet war. … Niemand in der Arbeit wußte, dass ich mich so stark engagiert habe. Das wissen meine Eltern und ein paar der nächsten Freunde.»

Doch zurück zu den Geschehnissen im Urwald. Um die Flüchtlinge fernzuhalten, errichteten die polnischen Behörden auf einer Strecke von über 180 Kilometern einen Grenzzaun mitten im unwegsamen Waldgebiet, der anfangs als unüberwindlich galt. 5,5 Meter hohe Palisaden, so eng nebeneinander, dass ein Durchkommen für größere Tiere und Menschen unmöglich schien. Ein Irrtum, wie sich bald herausstellte. Darauf wurde die Grenzsperre durch ein dichtes Geflecht von Widerhakensperrdraht, auch NATO-Draht genannt, verstärkt. Ein so teures wie sinnloses Unterfangen. Laut einem internen Bericht der Grenzbehörden, zitiert von der unabhängigen Tageszeitung «Gazeta Wyborcza», ist es zwischen Jänner und Mitte September 2023 aus Belarus kommenden Flüchtlingen in mehr als 30.000 Fällen gelungen, die Sperre zu überwinden. Viele von ihnen gelangten weiter nach Deutschland und andere Zielländer.

Der Grenzzaun bleibt jedoch gefährlich und tückisch. Der Draht reißt tiefe, schwer heilende Wunden, bei Menschen wie Tieren, die im Urwald leben und bis vor kurzem ungehindert durch das weitläufige Gebiet streifen konnten. Nun ist auch für Wildtiere, Rehe, Hirsche, Wildschweine, Bisons usw. die Grenzregion zu einem Todesstreifen geworden. Die polnischen Behörden nennen die mörderische Befestigungsanlage so zynisch wie verharmlosend «integrierte Ingenieursicherung».

Viele Menschen vergleichen die Zustände an der Grenze, die panische Angst der Flüchtlinge, die sich wie Vogelfreie im Mittelalter schutzlos der brutalen Willkür ihrer Verfolger ausgesetzt sehen, mit der Zeit des Holocaust, der in diesen Regionen wütete wie kaum anderswo. Natürlich sind die Umstände damals und heute nicht miteinander zu vergleichen, das verbietet sich. Doch gewisse menschenverachtende Ähnlichkeiten sind nicht zu übersehen. Auch damals wurden unschuldige Menschen nur aufgrund ihrer Herkunft und ihres Aussehens erbarmunslos gejagt und mussten sich vor den Verfolgern und ihren lokalen Helfern verstecken.

Ein Flüchtlingshelfer, ein Kollege Paulas, kommentiert das in einem Interview mit dem polnischen Autor Mikołaj Grynberg, der in einem erschütternden Band Stimmen zur Situation an der Grenze gesammelt hat, voll Bitterkeit:

„Es stimmt nicht, dass wir (aus den damaligen Zeiten) die Schlussfolgerung gezogen hätten: Nie wieder Krieg, Verfolgungen und Pogrome. Das stimmt nicht, alles ist möglich, alles kann zurückkehren, wir können wieder dasselbe machen. Und vielleicht werden wir sogar schlimmer handeln.”

Das Buch trägt den Titel «Jezus umarł Polsce» «Jesus ist in Polen gestorben». Es ist zu wünschen, dass es rasch übersetzt wird.

Es sind die in vielen Fällen anonym bleibenden Helferinnen und Helfer an der Grenze, die uns hoffen lassen, dass sich die oben geäußerte düstere Befürchtung nicht bewahrheiten mögen. Paula ist eine von ihnen. Eine junge, mutige Frau, die Zeugin unmenschlicher Vorgänge geworden ist und, anders als viele ihrer Nachbarn und Bekannten nicht wegschaut, nicht weghört und den Schauergeschichten keinen Glauben schenkt, wonach die Flüchtlinge ins Land gekommen seien, um die Menschen zu berauben, Frauen zu vergewaltigen, Kinder zu schänden und ein islamistisches Regime zu errichten.

Wie weit die menschenverachtende Propaganda der PiS-Regierung und ihrer Anhänger dabei geht, hat sich vor kurzem am Beispiel der renommierten Regisseurin Agnieszka Holland gezeigt, die einen Film über die Zustände an der Grenze gedreht hat, mit dem unschuldigen Titel «Die grüne Grenze». Der Streifen wurde dreimal für den Oscar nominiert. In Polen löste der Film eine staatlich gelenkte Hasskampagne aus, die bis dahin unvorstellbare Ausmaße annahm. Holland wurde von höchsten Vertretern des Staates, voran dem Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro und Staatspräsident Andrzej Duda, wüst beschimpft und mit den übelsten Nazipropagandisten verglichen, dazu wurde ihr unterstellt, ihre Landsleute zu bespucken und in den Dreck zu ziehen und Propaganda für Putin zu machen. Dabei stört die schrillsten Kritiker natürlich nicht, dass sie den Film gar nicht gesehen hatten.

Es ist Menschen wie Paula zu verdanken, dass sie ein wenig Licht, einen Hoffnungsschimmer in diese Dunkelheit tragen. Dazu wollen wir ihr nochmals aus ganzem Herzen danken. Vielen Dank, Paula, Dir und Deinen Weggefährten, für die Du stellvertretend hier stehst, um diesen wohlverdienten Preis entgegenzunehmen.

Martin Pollack, im November 2023